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Grundlagen der klinischen Bewertung: Basiswissen für Medizinprodukte-Hersteller

Warum ist die klinische Bewertung wichtig?

Die klinische Bewertung von Medizinprodukten ist ein entscheidender Prozess, um die Sicherheit, Leistungsfähigkeit und Konformität eines Produktes mit den gesetzlichen Anforderungen darzustellen. Dieser Prozess umfasst eine systematische Sammlung und nachvollziehbare Analyse nicht-klinischer und klinischer Daten, die aus verschiedenen Quellen stammen. Der Begriff „klinische Daten“ ist dabei in der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) definiert und umfasst z.B. Daten klinischer Studien, Fachliteratur und Praxis-Erfahrungen mit dem Medizinprodukt und/oder eines Äquivalenzproduktes. Ziel der klinischen Bewertung ist es, nachzuweisen, dass das Medizinprodukt die vorgesehenen Leistungen erbringt und damit verbundene Risiken auf ein akzeptables Niveau minimiert werden.
Die MDR fordert eine kontinuierliche Sammlung und Bewertung der klinischen Daten auch nach der Markteinführung des Medizinproduktes. Dies wird durch die Post-Market Surveillance (PMS) und das Post-Market Clinical Follow-Up (PMCF) gewährleistet. PMS beinhaltet die proaktive Sammlung von Informationen über die Sicherheit und Leistung des Medizinprodukts mittels unterschiedlicher Methoden. PMCF ist als Teil des PMS, bei dem es insbesondere darum geht, gezielt Informationen zu spezifischen offenen Fragestellungen (z.B. Langzeitverhalten, Überwachung von Nebenwirkungen und Kontraindikationen, Einflüsse von Begleiterkrankungen) zu sammeln. Der Umfang von PMCF-Aktivitäten kann in sehr unterschiedlichem Maße angemessen sein. Insbesondere bei neuen und neuartigen Produkten können PMCF-Studien, Anwenderumfragen, Analyse von Registerdaten und Literaturrecherchen mit definierter Fragestellung notwendig sein, um nach der Markteinführung die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Wirksamkeit des Medizinproduktes zu bestätigen. 

Ziele und Zielgruppe des Beitrags

Dieser Blogbeitrag richtet sich an Mitarbeitende aus den Bereichen Clinical Affairs, Regulatory Affairs, Forschung & Entwicklung (F&E), Qualitätsmanagement, Produktmanagement und Business Development in Unternehmen der Medizinprodukteindustrie, die in die Planung und Durchführung von klinischen Bewertungen involviert sind, sowie an Mitarbeitende aus Überwachungsbehörden. Ziel ist es, ein grundsätzliches Verständnis der klinischen Bewertung zu vermitteln, um Strategien für die Durchführung klinischer Bewertungen entwickeln zu können. Wesentlich ist dafür das Verständnis der Verknüpfung der klinischen Bewertung mit dem Risikomanagement. Praktische Einblicke und Beispiele helfen dabei, den Kontext zu verstehen.


Die Bewertung von Sicherheit und Risiken von Medizinprodukten

Die Bewertung von Sicherheit und Risiken von Medizinprodukten erfolgt mittels Risikomanagement und klinischer Bewertung, die eng miteinander in Beziehung stehen und Einfluss auf die Kennzeichnung (inkl. Gebrauchsanweisung) haben und die den Stand der Technik berücksichtigen müssen.

Risikomanagement: Risikoidentifikation und -bewertung

Die Identifikation und Bewertung von Risiken ist ein zentraler Bestandteil des Risikomanagementprozesses. Hierbei werden potenzielle Risiken des Medizinprodukts identifiziert und deren Schweregrad sowie Auftretenswahrscheinlichkeit bewertet. Es geht dabei insbesondere darum, wie Nebenwirkungen und Komplikationen, die durch die Verwendung des Produktes auftreten können, technisch reduziert werden können und durch zielgerichtete Anweisungen an Anwender vermieden werden können. Nach der Identifikation der Risiken werden Maßnahmen zur Risikominderung entwickelt und implementiert. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die identifizierten Risiken auf ein akzeptables Niveau zu reduzieren. Die Bewertung erfolgt anhand prä-klinischer und klinischer Daten sowie Auswertung wissenschaftlicher Literatur und dem Stand der Technik.

Der Ablauf und die Durchführung des Risikomanagements als kontinuierlicher Prozess ist in der harmonisierten Norm EN ISO 14971:2019 beschrieben. Die Bewertung der Risiken erfolgt über den gesamten Lebenszyklus des Medizinproduktes und umfasst seine Entwicklung, Produktion inkl. Verpackung und Kennzeichnung, der Produktion nachgelagerte Prozesse wie Lagerung und Transport sowie die sichere Entsorgung des Medizinproduktes. Ergänzend beschreibt beispielsweise die IEC 62366-1:2015 / A1:2020 Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit von Medizinprodukten, die durch weitere Standards – z.B. die IEC 60601-Familie für aktive Medizinprodukte und ggfs. produktspezifische Standards ergänzt werden. Methoden zur Durchführung einer Risikoanalyse können unterschiedlich sein. Häufig angewendet werden zum Beispiel die Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA), die hilft, systematisch potenzielle Fehlerquellen zu identifizieren und deren Auswirkungen zu bewerten. Eine Risikoakte umfasst Risikomanagementplan, Risikoanalyse, Risikobeherrschung, Risikoakzeptanz & Bewertung der Restrisiken, Risikomanagementbericht / Risikobewertung. In der MDR sind konkrete Anforderungen zur Beherrschung der Risiken formuliert, wie z.B. die anzuwendende Hierarchie risikominimierender Maßnahmen (1. sichere Auslegung und Herstellung des Medizinproduktes; 2. Schutzmaßnahmen und Alarmvorrichtungen, 3. Sicherheitsinformationen). Es gilt, die Risiken so weit wie möglich zu reduzieren. Über etwaige Restrisiken muss der Anwender durch den Hersteller unterrichtet werden.

Maßnahmen zur Risikominderung

Risikominimierende Maßnahmen umfassen die inhärente Sicherheit durch das Design, integrierte Schutzmaßnahmen und Instruktionen zum sicheren Umgang mit dem Medizinprodukt als Teil der Gebrauchsanweisungen und der Kennzeichnung. Auch Schulungen für Anwender oder die Implementierung von Überwachungsmechanismen z.B. mittels akustischer Signale sind weitere Beispiele.

Für einige etablierte Bestandsprodukte finden sich Vorgaben zur inhärenten Sicherheit in produktspezifischen Standards. Auch für die Kombination von Medizinprodukten gibt es häufig anwendbare Standards, die den Stand der Technik repräsentieren und daher berücksichtigt werden müssen, z.B. standardisierte Steckverbindungen, Farbkodierungen für bestimmte Größen, Materialvorgaben für bestimmte medizinische Anwendungen. Der Umfang der zu berücksichtigen Standards ist je nach Medizinprodukt sehr unterschiedlich, weshalb eine Normenrecherche in einer frühen Phase der Entwicklung durchgeführt werden sollte. Im Falle dass es keine standardisierten Vorgaben gibt, muss ggfs. auf andere Literatur wie Empfehlungen von medizinischen Fachgesellschaften ausgewichen werden, die ebenfalls Empfehlungen für den sicheren Gebrauch von Medizinprodukten beinhalten können. Für Risiken, die nicht von anwendbaren Standards abgedeckt sind, muss der Hersteller eigene Risikokontrollmaßnahmen entwickeln und ihre Effektivität darlegen.

Klinische Leistung und Sicherheit: Zweckbestimmung und Auslobung

Ein Medizinprodukt zeichnet sich dadurch aus, dass es entwickelt wurde, um einen bestimmten klinischen Nutzen zu erfüllen und einen bestimmten medizinischen Bedarf zu decken. Der klinische Nutzen wird durch seine Zweckbestimmung definiert. Unter Berücksichtigung des Nutzerprofils, der vorgesehenen Patientenpopulation, der Indikationen, Kontraindikationen und anderer relevanter Parameter wie Dauer und Art des Körperkontakts, Komplexität des Produktes/Systems und seines medizinischen Anwendungsbereichs definieren sich die Anforderungen an die klinische Leistung und Sicherheit des Produktes. Die klinische Leistung eines Medizinprodukte wird mittels messbarer Leistungsziele, die den Stand der Technik berücksichtigen, definiert und müssen im Einklang mit der Auslobung des Produktes stehen.

Klinischer Nutzen: Patientenvorteile

Der klinische Nutzen eines Medizinproduktes bezieht sich auf die positiven Auswirkungen, die es auf die Gesundheit der Patienten hat. Dies kann Verbesserungen in der Diagnose, Behandlung, Überwachung oder Vorbeugung von Erkrankungen umfassen. Der Nachweis des klinischen Nutzens erfolgt durch die Analyse von Daten und Studien, die die positiven gesundheitlichen Ergebnisse belegen.
Beispiele für einen direkten klinischen Nutzen sind eine frühzeitigere und präzisere Diagnose im Vergleich zu anderen Methoden, Schmerzreduktion, schnellere Heilung. Manche Medizinprodukte zeichnet ein indirekter klinischer Nutzen aus, z.B. solche, die zur Verabreichung von Medikamenten oder dem Einsetzen von Implantaten genutzt werden.

Strategien für die klinische Bewertung

Mittels eines klinischen Bewertungsplans definiert der Hersteller die geeignete Strategie zur Darstellung ausreichender klinischer Evidenz für ein bestimmtes Produkt, d.h. er legt fest mittels welcher Daten die klinische Sicherheit und Leistungsfähigkeit demonstriert wird. Die MDR sieht zwei mögliche Wege vor: Grundsätzlich erfolgt die klinische Bewertung mittels klinischer Daten, wie sie in der MDR definiert sind. Dazu gehören Daten aus klinischen Studien mit dem Medizinprodukt selbst oder ggfs. einem Äquivalenzprodukt, Literaturdaten des Medizinproduktes oder Äquivalenzproduktes sowie Daten aus der Post-Market Phase. Für Bestandsprodukte ist die Berücksichtigung des MDCG-Dokuments 2020-6 hilfreich, welches z.B. für etablierte Medizinprodukte zur Standardversorgung („well-established technology“ nach Definition des Begriffs in diesem Dokument) und für Medizinprodukte mit indirektem klinischem Nutzen mögliche Herangehensweisen für die klinische Bewertung konkreter beleuchtet.
In Ausnahmefällen kann die klinische Bewertung nach MDR Art. 61,10 ohne klinische Daten basierend auf den Ergebnissen des Risikomanagements, der Berücksichtigung der besonderen Merkmale des Zusammenspiels zwischen dem Produkt und dem menschlichen Körper, der bezweckten klinischen Leistung und der Auslobung erfolgen. Der Nachweis der Übereinstimmung mit den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen erfolgt dann auf Grundlage der Ergebnisse nicht-klinischer Testmethoden, einschließlich Leistungsbewertung, technischer Prüfung („bench testing“) und prä-klinischer Bewertung. Eine stichhaltige Begründung für diese Strategie ist Grundvoraussetzung.
In jedem Fall ist es notwendig, dass die Sammlung der Daten, die für die klinische Bewertung herangezogen werden, die definierten Leistungs- und Sicherheitsparameter berücksichtigen.

Fortlaufende Nutzen-Risiko-Bewertung

Im Rahmen der klinischen Bewertung erfolgt die Bewertung des Nutzen-Risiko-Profils des Medizinproduktes. Nur, wenn der Nutzen die Risiken überwiegt, darf es in Verkehr gebracht werden.
Dazu wird anhand der definierten Leistungs- und Sicherheitsparameter und der gesammelten Daten bewertet, wie gut das Medizinprodukt seine Zweckbestimmung erfüllt. Dies ist in Relation zum Stand der Technik und alternativer Behandlungsmethoden zu bewerten. Die gesammelten Daten müssen mit den bisherigen Ergebnissen der Risikoanalyse abgeglichen werden. Wenn die im Rahmen der klinischen Bewertung gesammelten Daten zur Entdeckung neuer Risiken führen oder eine erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit und/oder ein erhöhter Schweregrad (z.B. für bestimmte Patienten-Subgruppen) bereits identifizierter Risiken festgestellt werden, muss die Risikoanalyse aktualisiert und eine Neu-Bewertung des Nutzen-Risiko-Profils durchgeführt werden. Insbesondere bei neuartigen Medizinprodukten oder Medizinprodukten, die in einem dynamischen oder komplexen Anwendungsgebiet zur Anwendung kommen, können zuvor nicht-identifizierte Risiken und Nebenwirkungen erkannt werden. Der spezifische PMS- und PMCF-Plan des Herstellers definiert unter Berücksichtigung der produktspezifischen Eigenheiten und seines Anwendungsgebietes die notwendigen Datensammlungen zur Beobachtung des Medizinproduktes im Feld („real world data“). Die Zeiträume für die regelmäßige klinische Bewertung wird durch das Produktrisiko bestimmt. Für Medizinprodukte der Risikoklasse III und implantierbare Medizinprodukte muss die klinische Bewertung jährlich aktualisiert werden. Darüber hinaus ist es sinnvoll, die Zeiträume an die Erfahrung bzw. Neuartigkeit des Medizinproduktes und die Wahrscheinlichkeit zur Entdeckung unbekannter Risiken anzupassen.

Vergleich mit bestehenden Lösungen

Benchmarking, Wettbewerbsanalyse und Stand der Technik

Ein wichtiger Aspekt der klinischen Bewertung ist der Vergleich des eigenen Medizinproduktes mit ähnlichen Produkten und alternativen Behandlungsmethoden. Dies umfasst die Analyse der Stärken und Schwächen des Produktes im Vergleich zu anderen auf dem Markt verfügbaren Lösungen. Gemäß MDR muss das Produkt den Stand der Technik erfüllen. Benchmarking und Wettbewerbsanalysen helfen, die Position des Produktes im Markt zu verstehen und seine klinischen Vorteile hervorzuheben.
Diese Erkenntnisse können zur Optimierung des Produktes z.B. hinsichtlich seines klinischen Nutzens und/oder der Gebrauchstauglichkeit genutzt werden.
Ein Beispiel wäre der Vergleich eines neuen chirurgischen Instruments mit einem bestehenden Instrument hinsichtlich Präzision, Komplikationsraten, Benutzerfreundlichkeit und Auswahlangebot verschiedener Modelle für verschiedene Patientenanatomien.

Evidenzbasis und Langzeitsicherheit

Quellen klinischer Evidenz

Die klinische Bewertung stützt sich auf verschiedene Quellen mit unterschiedlicher klinischer Evidenz. Eine hohe klinische Evidenz wird hochwertigen klinischen Studien wie z.B. randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), Beobachtungsstudien, Registerdaten und Meta-Analysen zugeschrieben. Eine mittlere klinische Evidenz stellen einzelne Fallbeispiele dar und eine geringe klinische Evidenz beinhaltet Daten von Äquivalenz- und ähnlichen Produkten. Diese Quellen liefern wichtige Daten zur Überprüfung der Sicherheit und Leistung des Produktes im Markt und die richtige Auswahl der Datenquellen ist entscheidend für die Nachweisführung im Rahmen der klinischen Bewertung.
RCTs bieten eine hohe Evidenzstufe, da sie Verzerrungen minimieren und die Wirkung des Produktes unter kontrollierten Bedingungen testen. Beobachtungsstudien liefern wertvolle Daten aus dem realen Einsatz des Produktes, während Registerdaten langfristige Informationen zu Sicherheit und Leistung bereitstellen.
Für Bestandsprodukte können unter bestimmten Voraussetzungen auch Datenquellen mit mittlerer oder niedriger klinischer Evidenz ausreichend sein, wozu das MDCG 2020-6 wertvolle Anleitung liefert.

Post-Market Surveillance (PMS) und Post-Market Clinical Follow-Up (PMCF)

Nach der Markteinführung müssen Medizinprodukte fortlaufend beobachtet werden, also Post-Market Surveillance (PMS) Daten gesammelt werden. Diese beinhalten Reklamationen, gemeldete Vorkommnisse (Vigilanzdaten) und ggfs. statistisch signifikante Anstiege in Häufigkeit oder Schweregrad von nicht-schwerwiegenden Vorkommnissen.

Insbesondere bei neuen und neuartigen Produkten kann es auch zur Meldung von unerwarteten unerwünschten Nebenwirkungen kommen. Die Durchführung von Post-Market Clinical Follow-Up (PMCF) Aktivitäten wie spezifische klinische Studien oder gezielte Auswertung veröffentlichter Daten (Registereinträge, behördliche Sicherheitsdatenbanken, Fachliteratur) kann die Berichtsrate oder Aufdeckungswahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen oder Fehlgebrauch erhöhen, was insbesondere zur gezielten Beantwortung von Fragen zu Langzeitverhalten, Überwachung von Nebenwirkungen und Kontraindikationen notwendig ist, um die fortwährende Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Medizinproduktes zu gewährleisten.

Langzeitstudien sind wichtig, um die Sicherheit und Leistung eines Medizinproduktes über die komplette Anwendungsdauer und/oder Nutzungsdauer zu belegen. Insbesondere bei Implantaten, die vorgesehen sind, über lange Zeiträume im Körper zu verbleiben, kann im Rahmen von klinischen Studien nicht immer der gesamte Zeitraum beobachtet werden. Die Extrapolation der Kurzeitdaten auf ein Langzeitverhalten muss dann anhand von geeigneten PMCF-Aktivitäten bestätigt werden.

Ein Beispiel für eine Langzeitstudie könnte die Überwachung von Patienten über mehrere Jahre sein, die ein implantierbares Medizinprodukt erhalten haben, um langfristige Sicherheits- und Leistungsdaten zu sammeln.


Dokumentation und Berichterstattung

Erstellung des klinischen Entwicklungsplans.

Zu Beginn eines Entwicklungsprozesses wird der klinische Entwicklungsplan erstellt, um festzulegen, wie ein ausreichender klinischer Nachweis durch die spätere klinische Bewertung erbracht werden soll. Er sollte die Angabe von Meilensteinen und die Beschreibung potenzieller Akzeptanzkriterien (Phase vor dem Inverkehrbringen) enthalten und kann insbesondere bei neuen/neuartigen Produkten First-in-Man-Studien, Pilotstudien und prä-klinische Studien an bestimmten Patientengruppen umfassen. Darüber hinaus sollte er auch einen Ausblick auf die geplante Datenerhebung im Rahmen von PMS/PMCF (Phase nach dem Inverkehrbringen) geben, was die Durchführung von Bestätigungsstudien, Anwenderumfragen sowie die gezielte Auswertung öffentlicher Daten umfassen kann.

Erstellung des klinischen Bewertungsplans.

Vor der Durchführung der klinischen Bewertung werden in dem klinischen Bewertungsplan die Strategie zur Bewertung, die Definition der Kriterien und die Auswahl der zu erhebenden Daten festgelegt. Dieser Plan beschreibt also die Methodik und die Schritte, die zur Sammlung, Analyse und Bewertung der klinischen Daten durchgeführt werden. Der klinische Bewertungsplan sollte folgende Elemente umfassen:

  • Zweck und Zielsetzung: Klarstellung der Ziele der klinischen Bewertung und der zu beantwortenden Fragestellungen.
  • Produktbeschreibung: Umfassende Beschreibung des Medizinproduktes, einschließlich seiner beabsichtigten Zweckbestimmung, technischen Spezifikationen und Anwendungsbereiche.
  • Festlegung der Kriterien zur Bewertung der klinischen Leistung und Sicherheit.
  • Suchstrategie: Detaillierte Beschreibung der Strategie zur Identifikation relevanter klinischer Daten, einschließlich der verwendeten Datenbanken und Suchbegriffe.
  • Datenquellen: Identifikation und Beschreibung der Datenquellen wie klinische Studien, Registerdaten, Literaturrecherchen und Erfahrungsberichte.
  • Bewertung der Datenqualität: Kriterien und Methoden zur Beurteilung der Relevanz und Qualität der identifizierten Daten.
  • Struktur und Anforderungen an den klinischen Bewertungsberichts.

Erstellung des klinischen Bewertungsberichts.

Der klinische Bewertungsbericht ist das zentrale Dokument, das die Ergebnisse der klinischen Bewertung zusammenfasst. Er dient als Nachweis der Konformität des Medizinproduktes mit den gesetzlichen Anforderungen. Ein vollständiger Bewertungsbericht sollte folgende Punkte enthalten:

  • Zusammenfassung der klinischen Daten: Übersicht über alle gesammelten klinischen Daten, einschließlich der Studienergebnisse, Beobachtungen und Literaturanalysen.
  • Kritische Bewertung: Detaillierte Analyse der Daten, um die Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Produktes zu belegen. Hierbei wird auf potenzielle Risiken, Nebenwirkungen und die Wirksamkeit des Produktes eingegangen. In diesem Zusammenhang muss auch die Übertragbarkeit von Studiendaten, die sich u.U. nur auf bestimmte Patientenkollektive beziehen oder unter Ausschluss von bestimmten Kriterien wie Begleiterkrankungen erfolgt sind, diskutiert und bewertet werden.
  • Nutzen-Risiko-Bewertung: Abwägung der klinischen Vorteile des Produktes gegenüber den möglichen Risiken. Auch offene Fragestellung und die Wahrscheinlichkeit unbekannter Risiken sollten hier betrachtet werden. Diese Bewertung ist entscheidend für die Entscheidung über die Zertifizierung des Produktes.
  • Schlussfolgerungen zur Sicherheit und Leistung: Klare Darstellung der Schlussfolgerungen aus der klinischen Bewertung, einschließlich einer evidenzbasierten Zusammenfassung.
  • Anhänge: relevante Studiendokumentation, Literaturquellen, Suchprotokolle und zusätzliche unterstützende Dokumente wie Lebensläufe/Interessenserklärung der involvierten AutorInnen.

Regulatorische Anforderungen und Prüfprozesse.

Die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) legt strenge Anforderungen an die klinische Bewertung und Dokumentation fest. Zu den wichtigsten Anforderungen gehören:

  • Kontinuierliche Überwachung: Die MDR verlangt eine kontinuierliche Überwachung der klinischen Daten auch nach der Markteinführung des Produktes. Dies wird durch Post-Market Surveillance (PMS) und Post-Market Clinical Follow-Up (PMCF) sichergestellt. Im Falle von meldepflichtigen Ereignissen sind die Behörden zu involvieren.
  • Dokumentationspflichten: Hersteller müssen sicherstellen, dass alle relevanten klinischen Daten in einem umfassenden klinischen Bewertungsbericht dokumentiert sind. Dieser Bericht wird von benannten Stellen im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahren überprüft und muss Behörden zur Einsicht zur Verfügung gestellt werden.
  • Prüfprozesse: benannte Stellen überprüfen die klinischen Bewertungsberichte, die Teil der technischen Dokumentation von Medizinprodukten sind, hinsichtlich der Einhaltung der MDR-Anforderungen. Das angewendete Konformitätsbewertungsverfahren richtet sich unter anderem nach der Risikoklasse des Medizinproduktes. Im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahren erklärt der Hersteller die Konformität des Medizinproduktes mit den regulatorischen Anforderungen. Die technische Dokumentation inkl. Klinischer Bewertung enthält die entsprechende Nachweisführung. Durch die Einbindung unabhängiger benannter Stellen zur Prüfung der technischen Dokumentation des Medizinproduktes und der Zertifizierung des Qualitätsmanagementsystem des Herstellers, soll gewährleistet werden, dass Medizinprodukte sicher und wirksam sind und den gesetzlichen Vorgaben entsprechen und das Vertrauen der Anwender und Patienten in die Produkte zu garantieren. Um die Unabhängigkeit zu wahren, dürfen benannten Stellen daher nur prüfende, aber keine beratenden Tätigkeiten durchführen.

Schlussfolgerung

Zusammenfassung der wichtigsten Punkte

Die klinische Bewertung von Medizinprodukten ist ein essenzieller Prozess, um sicherzustellen, dass Medizinprodukte sicher und effektiv sind und den gesetzlichen Anforderungen der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) entsprechen. Durch die systematische Sammlung und Analyse klinischer Daten wird die Sicherheit, Leistungsfähigkeit und der klinische Nutzen eines Medizinproduktes nachgewiesen. Der klinische Bewertungsbericht dokumentiert diese Ergebnisse und dient als Grundlage für die Darstellung der Produktkonformität und ihrer Aufrechterhaltung über die gesamte Lebensdauer des Produktes.

Ausblick und zukünftige Entwicklungen

Mit der Entwicklung neuer Technologien wachsen die Anforderungen an die Nachweise der klinischen Leistungsfähigkeit und Sicherheit von Produkten. Gleichzeitig könnten neue Technologien und digitale Hilfsmittel den Prozess der Datenanalyse und -bewertung unterstützen. Künstliche Intelligenz (KI) als Komponente moderner Medizinprodukte wird, zunehmend ein zentraler und anspruchsvoller Aspekt in der klinischen Bewertung sein. Auf der anderen Seite kann KI ein hilfreiches Werkzeug werden, um große Mengen klinischer Daten auszuwerten und in neue Zusammenhänge zu stellen.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Für Mitarbeitende in den Bereichen Clinical Affairs, Regulatory Affairs, F&E, Qualitätsmanagement, Produktmanagement und Business Development sind folgende Handlungsempfehlungen entscheidend:

  • Sorgfältige Planung: Entwickeln Sie einen detaillierten klinischen Entwicklungs-/Bewertungsplan, der alle notwendigen Schritte und Anforderungen abdeckt.
  • Umfassende Datenanalyse: Nutzen Sie eine überzeugende Palette von Datenquellen, einschließlich klinischer Studien, Registerdaten und Post-Market Surveillance, um eine robuste Evidenzbasis zu schaffen.
  • Kontinuierliche Überwachung: Implementieren Sie ein effektives System zur kontinuierlichen Überwachung und Bewertung der klinischen Daten nach der Markteinführung des Produktes.
  • Regulatorische Konformität: Stellen Sie sicher, dass alle Dokumentationen und Berichte den Anforderungen der MDR entsprechen und regelmäßig aktualisiert werden.
  • Schulung und Weiterbildung: Bleiben Sie auf dem neuesten Stand der regulatorischen Anforderungen und Methoden zur klinischen Bewertung durch kontinuierliche Schulungen und Weiterbildung. Die TÜV Rheinland Akademie bietet mit der Ausbildung zum Clinical Affairs Manager Medical Devices (TÜV) einen umfassenden Gesamtlehrgang zum Thema Klinische Bewertung, Klinische Prüfung und Post Market Surveillance von Medizinprodukten.

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TÜV Rheinland LGA Products GmbH

Dr. phil. nat. Elke Beß

Auditorin / Produktexpertin, Stellvertretung Global Head of TCC Clinical Evaluation

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